Die Lesbe macht das Licht aus
Der Film zum Kölner Kultlokal „Gezeiten‘‘
Über das Stammlokal der Amigas, das „Gezeiten“ hat Maren Elbrechtz einen Dokumentarfilm gedreht – mit analytischem Sinn für Szenebetrachtungen und mit viel Liebe zu einer Kölner Institution, die uns allen fehlt. Susanne Lück hat ihn gesehen.
Im Kölner Norden gab es viele Jahre lang eine Restaurantkneipe, in der frau immer sicher sein konnte, mindestens eine frauenliebende Bekannte anzutreffen: das lesbisch geführte Gezeiten in der Balthasarstraße. Betreiberin Inci Edge eröffnete 1999 mit Tatendrang und etlichen wirtschaftlichen Fortbildungen ihr Lokal (nicht nur) für Lesben und bot sechs Abende pro Woche richtig leckere Küche in solidarischer Gesellschaft zu bezahlbaren Preisen. Für die Amigas und viele andere Vereine wurde das gemütliche Lokal rasch zur Stammkneipe. Bis Inci 2013 den Entschluss fasste, wieder zu schließen (Eine Amigas berichtete).
Die letzten Stunden vor der Schließung
Von diesem Entschluss erzählt der Dokumentarfilm „Das Gezeiten“ von Maren Elbrechtz. Die Dramaturgin hat selbst einige Zeit im Gezeiten gekellnert und zeigt uns aus nächster Nähe, wie der Alltag für die Crew aussah und wie er sich im Verlauf der 14 Jahre verändert hat. An Wirtin Inci ist die Kamera immer ganz nah dran. Sie verrät uns in den letzten Stunden vor der Schließung unumwunden, nachdenklich und spürbar aufrichtig ihre Gedanken zu dem was sie da aufgebaut, freud- und mühevoll am Leben erhalten und letztlich doch wieder aufgegeben hat.
Gastronomische Perspektive
Der Grund dafür, erfrischend direkt benannt, ist das „sparsame Konsumverhalten lesbischer Frauen“. Schade, wahr und aufgrund wirtschaftlicher Zwänge doch ebenso gut nachvollziehbar wie es letztlich auch die Schließung ist. Überhaupt kommt allerhand Kluges aus der Perspektive der ungewohnt gesprächigen Gastronomin: Alltag, Kampfgeist, Mut, das Abhandenkommen und Wiedergewinnen eigener Qualitätszeit und vergrabener Lebensträume. Hörenswert nicht nur fürs nostalgisierte Kölner Stammpublikum!
Veränderungen der Szene
Mit dem Gezeiten ging nicht nur eine Kölner Institution. Seine Geschichte in Zeiten von Finanzkrise und Nichtraucherschutzgesetz ist bezeichnend für eine ganze Generation bundesweiter Frauen- und Lesbenorte, die im neuen Jahrtausend einpacken mussten. Es geht, wie die Regisseurin betont, nicht um die Schließung eines Lokals, sondern um „globale Veränderungen in der Szene“. Zu deren Entwicklung und mutmaßlichen Ursachen kommt eine Historikerin ebenso zu Wort wie eine gut gemischte Gästeschar.
Tatort und lesbischer Karneval
Gemeinsames Fazit: Schade ist es allemal, und wir werden viel vermissen. Außer unserem Stammlokal zum Beispiel: Tatort im Saal, Fußball auf dem Gehweg, jährliche Karnevalsevents, selbst gemachte Maibowle – und nicht zuletzt einen Ort, an dem sich viele Pärchen gefunden haben. Laut Inci oft das Ende ihrer Wiederkehr als Kundinnen; dennoch ein wichtiges Szeneelement, das fehlt.
Wortwitzige Nostalgie
Für erfreulichen comic relief in der Doku sorgt das Service-Team, allen voran die wortwitzige Alice van Dytsch in Bestform. Wir erleben sie wunderbar entspannt beim regelwidrigen Flascheneinordnen, bei der mehr oder weniger gewissenhaften letzten Besteckpolitur und beim nostalgischen Austausch von so manchem lokalkolorierten Erlebnis im Job („War das Lecken besser?“). Auch alle anderen machen ihre Sache vor und hinte rder Kamera gut und routiniert, ob beim karnevalistischen Perückenschautanz oder bei der letzten großen Gezeitenparty im Mai 2013. Die gemeinsame Abschlussperformance von „Wir gehen nur dahin wegen der Kellnerin“ blieb mir noch tagelang im Ohr ...
Gelungenes Zeitdokument
Der Film ist ein gelungenes Zeitdokument. Er war im Juni 2015 eines der bestbesuchten und frenetischst beklatschten Highlights der Filmreihe homochrom in Köln. Laut Vertreiber Martin Wolkner geht „Das Gezeiten“ jetzt in die Festivalschleife. Wann und wo er wieder zu sehen sein wird steht – unter anderem – auf der Website zum Film.