Der Preis für couragierte Lesben geht an Bundesverfassungsrichterin Bochum, 30. Juni 2013
Das Jahrhunderthaus erlebte wieder einen geschichtsträchtigen Tag - der Ort war passend gewählt. Beinahe 160 Frauen und Männer nahmen in seinem hellen Saal Anteil an der Verleihung des Augspurg-Heymann-Preises, mit dem die Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in NRW alljährlich couragierte lesbische Frauen auszeichnet.
Der Preis geht in seinem fünften Jahr an die Bundesverfassungsrichterin Prof’in Dr. Susanne Baer. Die LAG Lesben ehrt sie „als Wissenschaftlerin und Bundesverfassungsrichterin, die sich engagiert für Gleichstellung und Antidiskriminierung von lesbischen Frauen in der Rechtswissenschaft einsetzt. Ihre lesbische Identität lebt sie in dem Kontext selbstverständlich und offen“ – eine Garantin für lesbische Sichtbarkeit im öffentlichen Leben.
Damit wird eine Vertreterin der Institution geehrt, welche die rechtliche Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften in jüngster Zeit mit Riesenschritten gegen die Verzögerungstaktik der Bundesregierung vorangetrieben hat. Susanne Baer ist allerdings weit mehr. Sie ist habilitierte Fachfrau für Gender-Kompetenz. Und sie ist Feministin. „Der Preis“, so fasste Renate Rampf vom LSVD in ihrer Laudatio treffend zusammen, „wird ihr in allen drei Disziplinen verliehen. Ihre Themen sind Würde, Freiheit und Gleichheit. … Sie ist hervorragend und außergewöhnlich.“
Der Festakt in Bochum war zur großen Freude der Preisträgerin „etwas Schönes – eine Feier mit viel Genuss und viel Humor.“ Das trifft sicher nicht nur auf das exzellent-vegetarische Büffet zu, den musikalischen Rahmen oder die vielen begeisterten und nebenbei munter netzwerkenden Frauen, die diese Preisverleihung Jahr für Jahr zu einem ganz besonderen Event lesbischen Selbstbewusstseins machen.
Auf der Bühne gab es heute bedeutsame und brandaktuelle Worte. Die Vorjahrespreisträgerin Inge von Bönninghausen schlug im Gespräch mit Ann Marie Krewer, die gewohnt souverän durch die Preisverleihung führte, einen Bogen zum Frauenwahlrechtskampf der Namensgeberin Anita Augspurg. Sie erinnerte daran, wie diese sich immer wieder gern in die juristische Bredouille gestürzt und bewusst Rechtsbrüche begangen hatte, nur um durch das prompt folgende Verbot auf grobe Missstände in Sachen Wahl- und Parteigründungsrecht hinzuweisen.
Vor allem die nachfolgende Rede der Juristin und Unternehmensberaterin Dr. Marie Sichtermann zum Rechtssystem und der Verpflichtung aller es mitzugestalten, riss die Anwesenden aus ihren Sitzen. In einem fulminant auf den Punkt gebrachten Fazit aus vier Jahrzehnten lesbenpolitischen Engagements fand sie klare und präzise Worte zur „normativen Kraft des Faktischen“. Auch lesbisches Engagement sei solch ein Fakt, der Normen schaffen könne und müsse. Die autonome Lesbenbewegung, das kam durchaus selbstkritisch von der „Berufsfeministin“, habe es lange Zeit versäumt, sich ausreichend in die Netzwerkpflege einzubringen und sei, da Integration nie ihr Ziel gewesen sei, wenig erfolgreich im Verändern der Normen unserer Gesellschaft geblieben. „Es hat einen Hauch von Tragik (oder Komik), dass unser politisches Leben als Lesben von der Möglichkeit der Ehe gekrönt wird, die wir doch einmal abschaffen und nicht etwa eingehen wollten“, sprach Sichtermann zu Gelächter und Applaus vielen Frauen aus der Seele, die in der jüngeren Berichterstattung zur „Homo-Ehe“ schon lange die Stimme der mehrheitlichen Lesben vermisst hatten, die überhaupt nicht heiraten wollen. Aber jetzt liege unsere Verantwortung nun einmal darin, die Gesellschaft auch durch den Fakt unserer Existenz normativ zu beeinflussen: „Der Preis ist dafür ein wunderbares Beispiel“.
Susanne Baer nahm den Wanderpreis „Die Wächterin“ in gewohnter Manier der
Augspurg-Heymann-Preisträgerinnen mit aufrichtiger Freude und bar jeder Allüre entgegen. Die Begeisterung im Saal war allerdings so groß, dass sie kaum gegen die donnernden Standing Ovations ankam, mit denen sie empfangen wurde. Baer hielt sich in ihrer Dankesrede kurz, prägnant und effektiv. Sie betonte, dass ihr Einsatz „ein Bemühen – mehr nicht“ sei, auf das sie dennoch stolz ist. Sie erinnerte daran, dass Rechtsprechung immer wieder von neuem erkämpft werden muss: „Recht ist eine Debatte, die geführt werden will, kein Geschenk, das bleibt.“ Sie lobte die Arbeit der Verbände und Anwältinnen, ohne deren „kreative Fragen“ sie auch nicht „kreativ reagieren“ könne. Sie fasste in Worte, was für jede von uns am wichtigsten bleibt: „Durchzuhalten. Aufmerksam zu sein. Sich nicht kaufen zu lassen. Und sich nicht zu schade zu sein, alles immer wieder offen auszusprechen – auch das ungeliebte L-Wort.“
Susanne Lück